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Ein Nachruf Henry A. Kissinger s.A. (1923-2023)

Michael Bittner

Henry A. Kissinger, Sohn einer jüdischen Lehrerfamilie aus Fürth in Bayern, konnte nicht Präsident der U.S.A. werden, aus verständlichen Gründen. Aber er war derjenige, der von 1969 bis 1977 die aussenpolitischen Geschicke der U.S.A. leitete und bestimmte, „wo es lang geht“.

Inhalt

Heinz Kissinger war Tormann in der Jugendmannschaft der Spielvereinigung Fürth, doch plötzlich, als Jude denunziert, gehörte er nicht mehr dazu, seine Familie wanderte klugerweise in die U.S.A. aus. Seine Vertreibung aus der Heimat schien er nicht übel zu nehmen, er kam schon als Soldat nach Deutschland zurück, arbeitete beim Counter Intelligence Corps (CIC) und wurde mit dem Bronze Star ausgezeichnet. Den Vorwurf seines Vaters, man solle gegen die Deutschen härter vorgehen, beantwortete er so: „Somewhere this negativism must end, somewhere we must produce something positive…“[1] – eine Maxime, der er treu geblieben ist. Wie auch seinem schweren deutschen Akzent.

 

Beim Studium der Politikwissenschaft in Harvard beeindruckte ihn besonders das Werk Oswald Spenglers[2], das zur Grundlage seines Denkens wurde. Mit diesem Antirationalismus gewappnet stieg er ab 1957 in die Politik ein, zunächst als Berater des New Yorker Gouverneurs Nelson Rockefeller. Die Führungsspitze der Republikaner wurde auf ihn aufmerksam, daher wurde er nach der Wahl von Richard Nixon im Jahr 1968 zum National Security Advisor ernannt.

 

Seine „Ping-Pong“ – Diplomatie, die Reisen zwischen den wichtigsten Hauptstädten, führten ihn auch nach Moskau und Peking, wo e den Titel „Alter Freund des chinesischen Volkes“ erhielt. Er führte mit seinem nordvietnamesischen Kontrahenten Le Duc Tho Geheimverhandlungen während des Krieges, die im Friedensabkommen von 1973 gipfelten, bei dem ihn die Vietnamesen ordentlich über den Tisch zogen. Dafür bekam er den Friedensnobelpreis, Tho war so ehrlich, ihn nicht anzunehmen.[3]

 

Seine Realpolitik gefiel den Linken überhaupt nicht, damals kam die Mode auf, politische Beziehungen an Menschenrechtsachtung zu binden, also symbolische statt zielgerichtete Politik zu machen. Kissinger war reiner Machtpolitiker, liess Kambodscha bombardieren und nahm die 150.000 Toten in Kauf, obwohl für diese Aggression keine nachvollziehbaren Gründe vorlagen. Das machte ihn für die Linken zu einer dämonischen Figur und bestärkte die europäischen Achtundsechziger darin, dass die U.S.A. böse seien und machiavellistisch die Welt regieren wollten.

 

Tatsächlich hatte Kissingers Politik als Aussenminister (1973-1977) zwei Gesichter: Friede im Vietnamkrieg, Bomben auf Kambodscha, Unterstützung des Diktators Augusto Pinochet in Chile, Abrüstung (ABM-Vertrag), Verminderung der Rüstungsausgaben um 40 Prozent während des Krieges. Die Defacto-Pleite der U.S.A. konnte das nicht verhindern.

 

Auch dieser hervorragende Diplomat konnte den Nahostkonflikt nicht lösen, doch initiierte er mit den Genfer Nahostverhandlungen die Beruhigung der Situation nach dem Yom Kippur – Krieg, gewann sowohl den ägyptischen Diktator Hosni Mubarak als auch die deutsche Bundesregierung als Vermittler.

 

Zum pazifistischen Präsidenten Jimmy Carter hatte er keine Beziehung, doch auch der Republikaner Ronald Reagan brauchte seine Expertise nicht. Also gründete er ein Beratungsunternehmen, reiste auf der Welt herum, mit 100 Jahren dann noch einmal nach China, um Xi Jinping zu treffen.[4] Ein erfülltes Leben, das die Welt verändert hat. „For the better or the worse”, das werden künftige Generationen beurteilen.

 

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