Ausgabe

Mein Herzlia

Theodor Much

Mit Herzlia, einer Stadt 15 Kilometer nördlich von Tel Aviv, verbinden mich viele schöne Jugenderinnerungen.

Inhalt

Heute beherbergt die Stadt Herzlia Fünfsternhotels, teure Restaurants, ausländische Botschaften und einen grossen Jachthafen. Viele Firmen (Start-up-Unternehmen) haben dort ihren Sitz, Luxusappartements und teure Villen der Reichen und Schönen dominieren das Stadtbild von Herzlia Pituach. Doch zu meiner Zeit in Herzlia schaute es dort ganz anders aus. Niemand konnte damals den Aufschwung der Stadt, die 1924 gegründet worden war, vorhersehen. Meine Eltern, die 1937 als überzeugte Zionisten aus der Schweiz, wo mein Vater als Augenarzt gearbeitet hatte, einwanderten, wohnten zuerst in der Pinskerstrasse Nummer 13 in Tel Aviv. Das heute heruntergekommene kleine Haus steht immer noch, umgeben von neueren, oft hässlichen, Gebäuden.

Mein Vater, ein bekannter Augenarzt, kaufte in den 1950er Jahren in the middle of nowhere in Herzlia ein 1.000 Quadratmeter grosses Grundstück (ein „Dunam“), mitsamt einem kleinen Tannenwald. Danach errichtete er dort ein aus Vöcklabruck importiertes Fertigteilhaus. Finanziert wurde der Kauf durch einen überteuerten Kredit (Rückzahlung auf Basis von Goldwährung), der ihn jahrelang seine ganzen, sehr bescheidenen Einnahmen kostete. Unser Haus war von verwilderten Feldern umgeben, in denen ich als Kind erfolgreich Schildkröten suchte. Nachts war das unheimliche Heulen der Schakale zu hören und gelegentlich fanden Tausendfüssler und Skorpione ihren Weg in unsere Zimmer. Ich erinnere mich auch an eine braune Giftschlange, die mein Vater mit einem Hammer auf unserer Terrasse erschlug, aber auch an eine schlimme Invasion von roten Ameisen, die zu Tausenden aus den Wasserleitungen hervorkrochen und die er, mit DDT, ziemlich erfolglos bekämpfte. Das Geheule der Schakale war furchterregend und ich erinnere mich, dass mein damals bester Freund Micki aus Tel Aviv, der bei uns oftmals übernachtete, sich aus lauter Angst zitternd unter unserem Esstisch versteckte. Mit ihm rauchte ich damals meine erste und letzte Zigarette, wir genossen sie auf einem Eukalyptusbaum am Rande unseres Gartens. Doch schon nach wenigen Zügen wurde uns übel und das war das Ende unserer „Sucht“.

Ich erinnere mich auch an den damals naturbelassenen Strand von Herzlia, an eine oftmals lebensgefährliche Brandung, an tausende von Krebsen, die abends den Strand bevölkerten und an Spaziergänge zur Ruine von Apollonia im Norden. Am südlichen Abschnitt des Strandes entdeckte mein Vater bei einem Spaziergang um 1950 eine alte, unversehrte Fliegerbombe im Sand. Sie wurde danach entschärft.

Mit zehn Jahren lernte ich Tennisspielen am Beton-Tennisplatz vor dem damals einzigen Hotel (Sharon) in Herzlia. Seit langem ist der Tennisplatz verschwunden, an seiner Stelle befindet sich heute ein riesiger Parkplatz. Später erhielt ich Tennisstunden beim bekannten Tennistrainer Davidman in Tel Aviv. Damals trat ich auch im Rahmen der israelischen Jugendmeisterschaft (chancenlos) gegen den Riesen Tanhum Cohen-Mintz an, der später als Basketballer berühmt wurde.

Im damals noch nicht so vornehmen Sharon Hotel am Strand von Herzlia feierten wir, im kleinen Rahmen, meine Bar Mizwa. Es war, auf meinen Wunsch, nur eine kleine Feier im Familienkreis, um das so ersparte Geld an Zahal (die Verteidigungsarmee Israels) zu spenden.

Weniger schön sind meine Erinnerungen an den qualvollen Tod meiner Katze Kity an Tollwut und vor allem an die Terroranschläge von Fedajin, die nachts aus der Westbank einfielen, um Menschen in Kfar Saba – damals eine Grenzstadt, wenige Kilometer von unserem Haus entfernt – und Umgebung zu ermorden. Terroranschläge gegen israelische Bürger sind nicht, wie manchmal behauptet wird, die Folge der Besatzung der Westbank im Jahr 1967, sondern Teil des Lebens im Staat Israel seit 1948. Keine sehr gute Erinnerung habe ich auch an unsere damaligen direkten Nachbarn. Die Matriarchin der Familie schickte immer wieder ihren hilflosen Mann zu meinen Eltern, um bei ihnen zu deponieren, dass ich nicht mit ihrem Sohn spielen sollte, da ich als „zu wildes Kind“ einen schlechten Einfluss auf ihn hätte.

Meine Eltern, insbesondere meine Mutter, litten schwer unter der Sommerhitze. Einen elektrischen Kühlschrank oder eine Air-Condition hatten wir nicht und daher musste ich immer wieder Eisblöcke für den Eiskasten nach Hause schleppen. Da wir auch kein Auto besassen, musste mein Vater täglich bei sengender Hitze auf der Schnellstrasse auf einen Bus warten, um nach Jaffa zu gelangen, wo er als Augenarzt im französischen Spital arbeitete (damals waren dort alle Schwestern ältere Nonnen). Meine Mutter litt auch an Amöben, einer Krankheit, die damals oft bei Europäern auftrat. 

Mama vermisste auch ihre Geburtsstadt Wien, die Kaffeehäuser und Wiens Kultur. Als echte Jekkes lernten meine Eltern, wie die meisten ihrer Freunde, auch nie Iwrith; beide fühlten sich in einer mehr oder weniger orientalischen Welt nicht wohl. Das alles waren Gründe, im Jahr 1956 Israel zu verlassen und nach Wien zurückzukehren (als Kind wurde ich da nicht gefragt). Dass Eltern, Schwester, Nichte und Schwager meiner Mutter von den Nazis ermordet wurde, blendete sie, wie viele Österreich-Rückkehrer, scheinbar völlig aus.

Obwohl ich mit Wehmut an meine Kindheit in Israel zurückdenke, ist mir bewusst, dass die Welt, die ich dort kannte, schon lange nicht mehr existiert. Doch an meinen tiefen Gefühlen für Israel hat sich nie etwas geändert.